CLASSICS 180° – Was Sie erwartet
Lernen Sie Robert Schumanns Werk in all seinen Facetten kennen. Die Staatskapelle Dresden und deren neuer Chefdirigent Daniele Gatti schnüren ein dickes Schumann-Paket mit Violinkonzert, 3. Sinfonie und märchenhaften Zugaben. Eröffnet wird der Konzertabend mit einer Moderation, wobei Weltstar-Violinist Frank Peter Zimmermann und Gatti selbst Schumanns Werk und Leben ausleuchten.
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Sie gilt als eines der ältesten Orchester der Welt: die 1548 durch Kurfürst Moritz gegründete Sächsische Staatskapelle Dresden. Unter ihren Leitern finden sich so klangvolle Namen wie Heinrich Schütz, Johann Adolph Hasse, Carl Maria von Weber sowie aus neuerer Zeit Karl Böhm, Kurt Sanderling und Bernhard Haitink. Traditionell ist das Ensemble, das im Laufe seiner Geschichte einen ganz eigenen Klang entwickelt hat, sowohl im Konzert- als auch im Opernbereich tätig; hinzu kommen Tourneen in die USA, nach Asien und in den arabischen Raum. Wenn es um die besten Orchester der Welt geht, fällt in schöner Regelmässigkeit der Name der Staatskapelle; schon Richard Wagner nannte sie eine «Wunderharfe». Mit Beginn der Saison 2024/25 übernimmt Daniele Gatti das Amt des Chefdirigenten in Dresden.
Daniele Gatti studierte am Conservatorio Giuseppe Verdi in Mailand. Ab August 2024 wird er Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden sein. Er ist Musikdirektor des Orchestra Mozart, künstlerischer Berater des Mahler Chamber Orchestra und Chefdirigent des Teatro del Maggio Musicale Fiorentino. Er war Musikdirektor des Teatro dell’Opera di Roma und hatte zuvor renommierte Positionen bei wichtigen Musikinstitutionen wie der Accademia Nazionale di Santa Cecilia, dem Royal Philharmonic Orchestra, dem Orchestre National de France, dem Royal Opera House of London, dem Teatro Comunale di Bologna, dem Opernhaus Zürich und dem Royal Concertgebouw Orchestra in Amsterdam inne. Die Berliner Philharmoniker, die Wiener Philharmoniker, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und das Orchestra Filarmonica della Scala sind nur einige der renommierten sinfonischen Institutionen, mit denen er zusammenarbeitet. Er hat Aufnahmen für die Labels Sony Classical, RCO Live und C Major gemacht.
Unter vielen Fachleuten gilt er als einer der besten Geiger der Welt, und das seit mittlerweile vier Jahrzehnten: Frank Peter Zimmermann. Seine künstlerische Bandbreite ist atemberaubend, sie reicht vom Barock über Klassik und Romantik bis zu zeitgenössischen Werken; als Kammermusiker ist er ebenso gefragt wie als Solist. Dabei steht immer die Musik im Mittelpunkt seines Wirkens. So präsent Zimmermann auf den Konzertpodien der Welt ist, so zurückhaltend gibt er sich, was mediale Darstellung angeht. Um in seiner künstlerischen Freiheit nicht eingeschränkt zu sein, veröffentlicht er nur noch bei kleineren, unabhängigen Musiklabels. Preise und Auszeichnungen erhielt er natürlich trotzdem oder gerade deswegen, vom Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik bis zum Bundesverdienstkreuz Erster Klasse.
Seine musikalische Laufbahn begann Robert Schumann wie so viele talentierte Zeitgenossen: als komponierender Pianist. Allerdings zerschlugen sich seine Hoffnungen auf eine Virtuosenkarriere aufgrund einer Lähmung der rechten Hand schon früh. Notgedrungen — heute würde man sagen: zum Glück — konzentrierte sich Schumann in der Folge auf kompositorische Tätigkeiten. Auch zur Gattung des Solokonzerts steuerte der verhinderte Virtuose einige Werke bei, die heute zum Standardrepertoire zählen. Während jedoch das Klavierkonzert (1841/45) sofort auf Begeisterung stiess, wurde das Konzert für Violoncello (1850) erst nach Schumanns Tod gespielt — und das Violinkonzert sogar noch später.
Es entstand im Herbst 1853 in Düsseldorf auf Anregung des jungen Geigers Joseph Joachim. Schumann, seit drei Jahren Städtischer Musikdirektor, hatte wie im Rausch komponiert und bereits die Premiere angesetzt, als sein Arbeitgeber zu einer Programmänderung drängte. Ende Januar 1854 gab es noch eine Probe des Violinkonzerts in Hannover, aber nur wenige Wochen später unternahm Schumann einen Suizidversuch und verbrachte seine beiden letzten Lebensjahre in der Heilanstalt Endenich bei Bonn. Die Öffentlichkeit bekam das Violinkonzert nicht zu Gesicht; es wurde von Schumanns Frau Clara und Joachim unter Verschluss gehalten. Viele Jahre später äusserte sich Joachim über die Gründe: Eine «gewisse Ermattung» sei dem Stück nicht abzusprechen, es enthalte «interessante Einzelheiten», aber auch Monotonie und Starrheit, und der Solopart sei bei aller Schwierigkeit nicht effektvoll genug. Erst 1937 wurde das Werk veröffentlicht und uraufgeführt, zugleich aber auch von den Nationalsozialisten vereinnahmt: als Gegenstück zum populären Violinkonzert des Juden Mendelssohn. Kein Wunder, dass nach 1945 viele Geiger einen Bogen um das mehrfach «belastete» Stück machten…
Erst in den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Überzeugung Yehudi Menuhins durchgesetzt, dass Schumanns d-Moll-Konzert «das fehlende Bindeglied zwischen den Konzerten von Beethoven und Brahms» darstellt: ein Werk, das die traditionelle Formensprache um zutiefst romantische Inhalte bereichert. So präsentiert der 1. Satz mit seinem robusten Beginn und zarter Antwort zwar den üblichen Themengegensatz, der in der Durchführung aber gar keine Rolle mehr spielt. Stattdessen bringt der innige Dialog des Solisten mit Oboe und Klarinette die Musik an den Rand des Verstummens. Der 2. Satz besteht fast komplett aus Suchbewegungen, die am Ende in eine Polonaise umschlagen, von der man nicht genau weiss, wie ernst sie gemeint ist.
Diese Mehrdeutigkeit ist kein Zufall, sie geht nämlich mit einer ganz neuen Art von Zeitstruktur einher. So verschleiern die allerersten Takte des Werks, ob es sich um einen schnellen oder langsamen Satz handelt: Während das Hauptthema aus langgezogenen Noten besteht, verbreiten die Streicher-Tremoli Hektik. Ähnlich im 2. Satz, wo das sehr ruhige Grundtempo von den Celli gestört wird; ständig spielen sie gegen die Betonung an. Das Doppelbödige des Finales kommt schon in der Satzbezeichnung zum Ausdruck: «lebhaft, doch nicht schnell». Ganz am Ende werden die Tanzrhythmen von endlosen Girlanden des Soloinstruments regelrecht verwischt — ein Effekt, der weit in die Zukunft weist, auf Impressionismus und Pointillismus.
Ein Ortswechsel wurde zum Anlass für Robert Schumanns letzte Sinfonie. 1844 war der Komponist mit seiner Familie nach Dresden übersiedelt, ohne dort jemals richtig Fuss zu fassen. Die blutigen Ereignisse rund um die Revolution 1848/49 sowie seine vergeblichen Bemühungen um ein Dirigentenamt in Leipzig oder Dresden liessen ihn 1850 das Angebot annehmen, Musikdirektor in Düsseldorf zu werden. Anfängliche Bedenken schlugen bald in Enthusiasmus um: «Ich wüsste kaum eine Stadt, der hiesigen zu vergleichen», schrieb er kurz nach Dienstantritt, «von einem so frischen künstlerischen Geist fühlt man sich hier angeweht».
Und so dürfte in Schumann rasch der Wunsch gereift sein, sich seinem Düsseldorfer Publikum mit einem neuen, repräsentativen Werk vorzustellen. Den konkreten Anstoss gab laut seinem Biografen Wasiliewski ein Besuch des Kölner Doms; dessen sakrale Atmosphäre, ergänzt durch Eindrücke der Landschaft und des rheinischen Lebensgefühls, soll in die Es-Dur-Sinfonie eingeflossen sein — daher ihr Beiname. Niedergeschrieben wurde sie innerhalb eines guten Monats, vom 7. November bis zum 9. Dezember, wobei ein Teil dieser Zeitspanne noch für die Vorbereitung und Durchführung eines Abonnementskonzerts geopfert werden musste.
Zwei Dinge sind an der Sinfonie bemerkenswert: zum einen die Erweiterung des klassischen Satzschemas auf fünf Sätze — was die Frage provoziert, welcher nun eigentlich der «eingeschobene» Satz ist. Zum zweiten der Stellenwert programmatischer, also bildhafter Inhalte über die Stichworte «Rhein», «Dom» und «Landschaft» hinaus. Oft schon wurde versucht, jeden einzelnen Satz der Sinfonie konkret zu deuten: als ländlichen Tanz (2. Satz), nächtliches Idyll (3. Satz) oder Volksfest (5. Satz). Doch wie immer bei Schumann sind diese Versuche zum Scheitern verurteilt, weil seine Musik zwar Anregungen von aussen aufnimmt, aber ihren eigenen Gesetzmässigkeiten folgt.
Denn so unterschiedlich die Tonfälle, Bilder und Stimmungen der «Rheinischen » auch sind, versucht Schumann sie doch kompositorisch zu bündeln, indem er die zentralen Themen des Werks aus wenigen markanten Hauptmotiven formt. Das Intervall der Quart etwa, mit dem die Sinfonie beginnt (es-b), zieht sich durch alle Sätze (mit Ausnahme des 3. Satzes) und wird im Finale noch einmal prominent herausgestellt. Ein anderes Kennzeichen des Werks ist die Tatsache, dass alle Sätze auf sehr einfachen Formmodellen beruhen, was aber durch ständige Vor- und Rückverweise überspielt wird. Auch dadurch entsteht beim Hören der Eindruck des unablässigen Strömens, eines Gangs durch eine sich wandelnde, dabei stets vertraut bleibende Landschaft.
Auf dieser Grundlage lässt sich der Spannungsbogen der Sinfonie etwa so nachzeichnen: Nach den erhabenen Natureindrücken des 1. Satzes zelebriert das Scherzo Geselligkeit, bevor die intime Szenerie des 3. Satzes in eine feierliche Atmosphäre mündet, die ganz zuletzt in Jubel umschlägt. Gerade Satz 4 mit seinem archaischen Prozessionscharakter und das überschwängliche Finale im 5. Satz scheinen Welten voneinander entfernt. Aber Schumann bringt sie zusammen, indem er das Prozessionsthema der Posaunen (wieder mit Quart-Beginn!) auf dem Höhepunkt des 5. Satzes erklingen lässt.
Auch die «Märchenerzählungen», Schumanns vorletztes kammermusikalisches Werk, entstanden in Düsseldorf, nur wenige Tage nach dem Violinkonzert. Wieder staunt man über den Schnellschreiber Schumann, der die vier Stücke in gerade einmal drei Tagen, vom 9. bis zum 11. Oktober 1853, zu Papier brachte. Von erlahmender Schaffenskraft also keine Spur; eher belegt der Wechsel vom grossen Orchester zum intimen Trio, wie wandlungsfähig der Komponist zu jener Zeit war. Der kreative Schub mag auch durch die Begegnung mit dem jungen Johannes Brahms ausgelöst worden sein, den die Schumanns menschlich wie künstlerisch hoch schätzten.
Für die Besetzung seines op. 132 wählte Schumann eine Kombination, die auf Mozarts Kegelstatt-Trio zurückgeht und die sich in der Romantik (bei Bruch, Reinecke, Kahn u. a.) einiger Beliebtheit erfreute: Klarinette, Bratsche, Klavier. Das gedeckte Timbre von Blas- und Streichinstrument, aber auch ihr grosser Tonumfang, machen sie variabel einsetzbar und verleihen dem Gesamtklang eine spezielle «Aura». Schumann sprach von einer «ganz eigenthümlichen Wirkung», und seine Frau Clara präzisierte: «Er meint, diese Zusammenstellung werde sich höchst romantisch ausnehmen.»
Vom Romantischen ist der Schritt zum Märchenhaften nicht weit. Tatsächlich wurde — ähnlich wie im Fall der «Rheinischen» — schon früh versucht, jedes der vier Stücke konkreten Märchen der Brüder Grimm zuzuordnen. Aber illustrativ im Sinne von abbildend ist diese Musik nicht, sie nähert sich der Welt des Fantastischen und Wunderbaren eher assoziativ, gibt Anregungen und entfaltet Stimmungen. Ein Verfahren, das Schumann bereits in den «Märchenbildern» für Bratsche und Klavier erprobt hatte oder in seinen zahlreichen «Fantasiestücken» für unterschiedliche Besetzungen.
Trotzdem stellen sich beim Hören Bilder ein, nur eben solche allgemeiner Natur. Verschmitzten Feencharakter hat das 1. Stück, während durch die Nr. 2 Riesen oder andere Unholde zu trampeln scheinen. Die Nr. 3 ist eine Art Liebesduett zwischen Klarinette und Viola, während aus dem 4. Stück Ritterlichkeit und Abenteuer sprechen. Dass das Geschehen so bunt und vielgestaltig wirkt, liegt am unablässigen Rollenwechsel der drei Instrumente, die sowohl solistisch wie begleitend agieren, mal im Dialog, dann wieder im offenen Widerspruch. Die musikalischen Bausteine, mit denen Schumann arbeitet, sind denn auch eher kurz, oft nur einen Takt lang, dafür aber vielfältig verwendbar.
Lediglich die Nr. 3 mit ihren weiten Melodiebögen und ihrer klaren Rollenverteilung bildet eine Ausnahme. Zudem wird die Geschlossenheit des kleinen Zyklus durch zahlreiche motivische Zusammenhänge zwischen den Stücken gewährleistet. So formt Schumann die Begleitstimme des Klaviers im dritten und das Hauptthema im vierten Stück aus dem ersten Staccato-Einwurf der Bratsche in Nr. 1. Und in den letzten Takten der Nr. 4 erklingen noch einmal Themensplitter, die ganz zu Beginn von op. 132 zu hören waren — ein geradezu märchenhafter Effekt.